Norwegen diagonal - Dieter Wolf durchquert Norwegen zu Fuss

Dem Ziel entgegen

Dieter Wolf, 13. Juli 2015

Für die letzten 120 km Fjellwanderung von Hütte zu Hütte über die wilden Höhenzüge der Setesdalheiene hatte ich ja nun Gesellschaft. Nachdem ich seit dem 6. Mai allein unterwegs war – einen Monat lang auf dem Velo, dann nochmals so lange zu Fuss auf Schneeschuhen – stiessen am Orientierungslauf in Rauland meine Frau Ursula und mein Patensohn Demian zu mir. Welche Wiedersehensfreude auf beiden Seiten! Auch wenn die vier OL-Wettkämpfe meine ganze Orientierungskunst und Geländegängigkeit erforderten, tat mir die Abwechslung richtig gut. Die frischen Kräfte hatte ich dann auch nötig, um nochmals eine Woche lang durchzuhalten. Zudem motivierte mich natürlich die Aussicht, das Ziel meiner Expedition bald zu erreichen.

Wo sind die Wegmarken?

Rote T’s (T für Turist-sti = Wanderweg) an Birken, Steinen und Fels weisen uns meistens zuverlässig den Weg. Auch die Wegspur selber ist vielerorts deutlich, wenn auch noch kaum diesjährige Fusstritte zu erkennen sind. Zu viel Schnee liegt nach wie vor oberhalb von 900m, auch wenn er sich in den endlich warmen Julitagen gut gesetzt hat und ohne Schneeschuhe begehbar ist. Er kaschiert aber an ein paar entscheidenden Stellen das Weglein, so dass wir es verlieren und mehrmals Umwege in Kauf nehmen müssen, bis wir die roten T’s wieder finden. Als wir bei einer solchen Suchaktion über einer senkrechten Felswand anlangen und die Pfadspur jenseits des noch mit Eisschollen bedeckten Sees entdecken, werden wir prompt von blökenden Schafen richtiggehend ausgelacht...

Hindernis mit Rheinfall-Dimensionen

Zwischen Kringle- und Taumevatn-Hütte wird das Storevatn (=grosser See) von einem reissenden Schmelzwasserfluss durchflossen, an dessen Oberlauf wir resignieren. Weder ein menschgemachter Steg noch eine übriggebliebene Schneebrücke erlauben uns die Traversierung. Auf der Karte sehen wir eine andere Wegvariante, doch als wir uns Stunden später dem Unterlauf unseres Schicksalsflusses nähern, wird das Donnern der herabstürzenden Wassermassen bald ohrenbetäubend. Auch hier kein Durchkommen! Man würde schlicht mitgerissen und in den See hinaus gespült, wagte man das Durchwaten. Was nun? Zum Glück ist uns ein Norweger-Paar begegnet, das uns sein winziges Ruderboot zur Verfügung stellt. Ich rudere meine beiden Mitwanderer einzeln hinüber, von wo sie den Tag mit einer 2stündigen Parforceleistung auf rauem Sumpf- und Wurzelpfad beschliessen. Ich selber rudere dann unsere „Retter“ in einer guten Stunde zur Hütte, wo mir wegen der ungewohnten Bewegungsart fast die Arme abfallen.

Abschied vom Bergland

Am letzten Wandertag senken sich die langgestreckten Fjellrücken zwischen tiefeingeschnittene U-Täler, der Höhenmesser zeigt nur noch 3stellige Angaben, wir überqueren die letzten Schneefelder und tauchen ein in den Dschungel dichter Birken- und Fährenwälder. Dementsprechend ruppig verläuft die nur knapp markierte Route einem schier endlos langen See entlang und fordert von uns nochmals alle Kräfte. Jede/r von uns landet mal unfreiwillig bis zu den Knien im Morast. Wie an den meisten Tagen sind wir wieder an die 10 Stunden unterwegs, als wir gegen Abend in der Ljosland-Fjellstoge eintreffen. Noch vor der ersehnten heissen Dusche kann ich mein treues Velo in Empfang nehmen, das ich vom Nordfuss der hohen Berge Jotunheimens hierher geschickt hatte. Es wird mich morgen noch die letzten 130km zum südlichsten Punkt Norwegens tragen, dem Kap Lindesnes.